Wieviel Einfluss geben wir der Technologie?


Schnellere und genauere Methoden der DNA-Manipulation fordern von uns dringlicher den je Stellung zu nehmen.

 

Die meisten Artikel zu neuen Methoden genetischer Manipulation (z.B. CRISPR/CAS9) widerspiegeln die gängige Laissez-faire Einstellung zum technologischen Wandel: mögliche Vorteile einer technologischen Erneuerung werden herausgestrichen und gelobt, während Bedenken und mögliche Nachteile kurz erwähnt werden, um sich gleich wieder erwartungsfroh eine Welt voller neuartiger Errungenschaften auszumalen. Mit den ersten Schritten hin zu einer neuen Technologie wird – als wärs ein Naturgesetz – ein mehr oder weniger gradliniger Entwicklungspfad vorgestellt, bei dem es um technische Verbesserung geht. Menschliche Werte und unsere Fähigkeit grundlegende Abwägungen zu treffen spielen in diesen Visionen keine Rolle.

Ungebremste und undisziplinierte technologische Entwicklung – die sich vor allem an das für uns Machbare, Nutzbare und Finanzierbare orientiert – macht kulturell bedingte Wertvorstellung überflüssig, da das wissenschaftlich-technische sich nur an die objektiven Regeln von Physik und Chemie orientiert. Würde und Wunder des Lebens, Empathie, Kunst, religiös oder spirituelles Empfinden, innere Ruhe, Privatsphäre, soziale Interaktion, Zeremonie, Bescheidenheit, Fairness, Motivation, etc. haben für die technologische Entwicklung keinen inhärenten Wert. Wissen um Physik und Chemie und das Anwenden dieses Wissens bringt Technologie weiter. Menschliche Ansichten und Werte per se bringen Technologie nicht weiter und sind daher im Prinzip irrelevant für diese Art von Evolution. Wir Menschen müssen dafür sorgen, dass unsere Ansichten und Werte in die technologische Evolution einfliessen, so dass diese Entwicklung ihnen gerecht wird.

Delikate technologische Entwicklungen dürfen nicht der Privatwirtschaft überlassen werden
Breite und intensive Diskussionen bezüglich den z.B., ethischen, gesellschaftlichen, kulturellen, religiösen und spirituellen Bedenken einer vom Mensch manipulierten DNA hätten schon 1980 stattfinden müssen, bevor General Electric ein Patent auf ein genetisch manipuliertes Bakterium zugesprochen wurde. Die Diskussionen wurden aber vor allem im kleinen Rahmen der direkt involvierten Parteien geführt (d.h., den Gerichten, Unternehmungen/Investoren). Und so nahm die technologische Entwicklung den zu erwartenden Verlauf: die Patentierbarkeit von Aspekten biologischen Lebens (also deren Privatisierung), ermöglichte die Eröffnung neuer Märkte, was schnell immer mehr Investorengelder anzog und so die Biotechnologie Industrie ins Leben rief.

Diese Industrie – wie jede andere auch – hängt davon ab, dass ihre Investitionen eine Rendite abwerfen. Durch das Hervorrufen dieser Industrie wurde, aus Gewinnstreben, eine signifikante Beschleunigung in der Generation biotechnologischen Wissens und deren Anwendung bewirkt. Diese Beschleunigung beeinflusst negative Effekte. Die Wahrscheinlichkeit negativer Effekte ist viel grösser, wenn hoch sensitive Aspekte technologischer Entwicklung den hastigen und kurzfristigen Rhythmen und Zielen von Macht- und Profitstreben ausgesetzt sind. [1]

Bis anhin war es mehr oder weniger so, dass eine Technologie angewandt wird, falls sie einen Nutzen bringt. Und es war bis anhin auch mehr oder weniger so, dass die negativen Effekte technologischer Anwendungen erst dann angegangen werden, wenn es nicht anders geht (z.B. in Bezug auf Umweltverschmutzung, Bevölkerungswachstum oder Kriegstechnologie). Doch unsere direkte Manipulation von DNA Molekülen ist ein Paradigmawechsel, der in einer entsprechenden fundamentalen Anpassung gesellschaftlicher Entscheidungsfindung reflektiert werden muss. Im Nachhinein versuchen negativen Effekten beizukommen ist schon seit längerem ein immer unzureichenderer Ansatz. Seit wir Erbgut (und Materie generell) von Grund auf manipulieren können hat sich der Ansatz vollends überholt: die potentiellen negativen Effekte unserer neusten technologischen Mittel sind viel zu folgenreich, als dass wir weitermachen können wie bisher.

Das Lenken unserer technologischen Entwicklung braucht Zeit
Was wir brauchen ist Zeit. Zuerst einmal um neue gesellschaftliche Entscheidungsprozesse zu definieren und neue Institutionen aufzubauen, die dem Paradigmawechsel der DNA Manipulation eine echte Entsprechung sind (es geht natürlich nicht nur um DNA Manipulation, sondern generell um die Erschaffung neuer technologischer Möglichkeiten, z.B. künstliche Intelligenz). Und danach brauchen wir Zeit um mittels dieser Institutionen und Entscheidungsprozesse die technologische Entwicklung unserer Spezies klar langsamer und selektiver anzugehen. So paradox es klingen mag: nur durch Selbstdisziplinierung können wir unser menschliches Mass an Handlungsfreiheit absichern, welche durch die Eigenlogik technologischer Evolution immer mehr beschnitten wird.

Entgegen den Verheissungen pausenloser technologischer Innovation kommt uns Zeit aber immer mehr abhanden. Je weniger wir uns Zeit nehmen die technologische Entwicklung in unserem menschlichen Sinn zu leiten, je mehr wird diese Entwicklung ihren eigenen Regeln, Geschwindigkeiten und Rhythmen folgen und unsere menschliche Ansichten, Werte und Bedürfnisse marginalisieren; bis hin zu deren kompletten Irrelevanz.

Die technologische Evolution wird uns diese notwendige Zeit nicht geben. Wir müssen sie uns nehmen.


[1] Hier ein paar Beispiele negativer Effekte welche genetisch manipulierte Pflanzen betreffen (die ersten zwei, respektive drei Beispiele betreffen auch Menschen und Tiere):
- Ethische Implikationen: Die Manipulation und Privatisierung des Lebens stellt uns vor fundamentalen ethischen Fragen, welche zu formulieren uns immer noch schwer fällt, geschweige denn, dass wir sie beanworten könnten. Wenn wir uns nicht die Zeit geben uns diesen Fragen zu widmen und trotzdem weitermachen, wird die Rolle der Ethik und Werte im menschlichen Leben unterminiert.
- Ökonomische und politische Machtkonzentrationen: Die Privatisierung des Lebens generell und im Speziellen das Gewährenlassen von Besitzansprüchen von kleinen, zurückgezogenen Investoren/Besitzer Gruppen auf Nahrungspflanzen und -tieren kreiert riesige Bedenken bezüglich übermässiger Macht und Kontrolle.
- Reduktion von Vielfalt: Die ökonomischen Interessen der Agrarindustrie in ihre eigenen patentierten Pflanzen und Tiere führt zu einer Reduktion von Vielfalt. Vertikale Marktintegrationen bewirken ein Verdrängen der nicht-patentierten, nicht-manipulierten Samen und Tieren. Weil die Grossindustrieinteressen viel weniger rechtliche und ökonomischen Hebelwirkung auf die nicht-manipulierten Arten ausüben können, werden sie den Bauern nicht zur Verfügung gestellt. Ein Mangel an genetischer Vielfalt stellt ein Klumpenrisiko für die Gesellschaft dar, da alternative Nahrungspflanzen und -tiere—z.B. im Fall parasitärer Verseuchung—weniger einfach oder gar nicht zur Verfügung stehen.
- Fremdbestäubung: Kontamination von genetisch nicht-modifizierten Pflanzen durch den Blütenstaub von genetisch modifizierten Pflanzen gefährdet die Existenz natürlicher Arten.
- Toxizität: Gifte von der genetisch modifizierten Pflanze selbst oder von erhöhtem Herbizid und Pestizid Gebrauch für GVOs können verschiedene Gesundheitsrisiken bewirken. Der Gebrauch von Herbiziden und Pestiziden senkt die Boden- und Wasserqualität weiter herab, da diese Gifte in die Umwelt einfliessen.
- Resistenzen: Weil die ins Visier genommen Pflanzen und Insekten vermehrt Giften ausgesetzt sind, können sie sich anpassen und entwickeln Resistenzen, was den Einsatz von mehr und zunehmend giftigeren Substanzen erfordert um diese in Schach zu halten.

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